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Lieferkettenprobleme lasten auf der Ostschweizer Wirtschaft

Zwei Jahre nach Pandemieausbruch Lieferkettenprobleme lasten auf der Ostschweizer Wirtschaft

Störungen in den Wertschöpfungs- und Lieferketten während der Corona-Pandemie führten zu einem erheblichen Mangel an Materialien und Vorprodukten. In der Region St.Gallen-Appenzell ist diese Erschwernis im Vergleich mit der Gesamtschweiz und der Europäischen Union deutlich ausgeprägter. Der Unterschied ist unter anderem auf die Branchenstruktur der Region zurückzuführen. Insbesondere die MEM-Industrie ist von einem Mangel an Vorprodukten und Materialen betroffen. Es gibt zwar Anzeichen für eine baldige Verbesserung. Der Krieg in der Ukraine birgt aber neue Risiken in Bezug auf die Lieferketten. Diese könnten sich direkt oder indirekt negativ auf den Geschäftsgang der hiesigen Unternehmen auswirken.

Mangel an Materialen und Vorprodukten hemmt Wirtschaftswachstum

Pandemiebedingte logistische Probleme führten im Verlauf von 2021 zunehmend zu globalen Lieferengpässen bei wichtigen Vorprodukten, wie beispielsweise Computerchips. Diese Entwicklung in Kombination mit angebotsseitigen Engpässen, hohen Inflationsraten und erneut angestiegenen Neuinfektionen dämpften im letzten Quartal die wirtschaftliche Aktivität in der Schweiz und im wirtschaftlich relevanten Ausland. In der Summe widerspiegelt sich dies auch in den Schätzungen des Bruttoinlandprodukts für die Schweiz und die Europäische Union. Sowohl in der Schweiz als auch in der Europäischen Union wurde im letzten Quartal des Jahres 2021 im Vergleich zum Vorquartal nur ein unterdurchschnittliches bis durchschnittliches Wachstum verzeichnet – nachdem das Wachstum in den Vorquartalen stark überdurchschnittlich war.

Die regelmässigen Umfrageergebnisse der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zeigen zudem, dass Lieferengpässe und der damit verbundene Mangel an Materialen und Vorprodukten neben dem Fachkräftemangel nach wie vor zu den grössten Erschwernissen der hiesigen Industrieunternehmen gehören. Besonders ausgeprägt ist diese in der Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie (MEM-Industrie) und der pharmazeutisch-chemischen Industrie. So sind in der Region St.Gallen-Appenzell, in der die MEM-Industrie stark verankert ist, verglichen mit der Gesamtschweiz und der Europäischen Union im Verhältnis auch deutlich mehr Unternehmen von den Folgen der Lieferengpässe betroffen. Rund 70% der Industrieunternehmen in der Region St.Gallen-Appenzell sind von einem Mangel an Materialien und Vorprodukten betroffen. Schweizweit sind es 54%, in der Europäischen Union immerhin 46%. Die Daten aus der Europäischen Union zeigen ferner, dass vor der Pandemie im Schnitt lediglich rund 10% der Unternehmen von einem Mangel an Vorprodukten und Materialen betroffen waren. In der Schweiz werden die Daten erst seit dem zweiten Quartal 2021 erfasst.

Lieferengpässe bleiben vorerst bestehen

Die Lage bei den globalen Lieferketten bleibt weiter angespannt. Zuletzt hat sich die Situation bei den globalen Lieferketten leicht verbessert. Dies zeigt sich beispielweise im erneuten Anstieg des Containerumschlags, welcher vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) berechnet wird. Zudem sanken in europäischen und amerikanischen Häfen die Wartezeiten im Vergleich zum Oktober 2021 teilweise um über 50%. In asiatischen Häfen hingegen stiegen jüngst die Wartezeiten, womit wieder mehr Containerschiffe vor den Häfen warten. Diese Entwicklung ist unter anderem auf saisonale Effekte zurückzuführen: Im Februar ist das Chinesische Neujahrsfest, wodurch in der Regel ein reduziertes Schiffsaufkommen verzeichnet wird. Im März dürfte es dann zu einem Nachholeffekt kommen. Somit wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen, ob die Verbesserung im Februar anhaltend oder nur saisonbedingt war. Unklar bleibt zum aktuellen Zeitpunkt, wie stark die neu verhängten regionalen Lockdowns in China den internationalen Handel belasten werden. Bis anhin scheint die Omikron-Welle in chinesischen Häfen aber keine gravierenden Einschränkungen des Umschlags bewirkt zu haben.

Es bestehen jedoch Anzeichen, dass sich die Lage weiter entspanne dürfte. Beispielweise konnten Unternehmen in den letzten Monaten ihre Lagerbestände ausbauen und waren weniger von Lieferverzögerungen betroffen. Des Weiteren reduzierte sich der Anteil der Unternehmen, die längere Lieferfristen erwarten, auf den tiefsten Stand seit Anfang 2021. Diese Entwicklungen zeigen sich auch in den Frachtkosten, welche zuletzt gegenüber den Höchstständen um rund 10% gesunken sind. Die sinkenden Transportkosten dürften auch den Preiserhöhungsdruck bei den Unternehmen leicht verringern. Trotzdem wird es insbesondere aufgrund der zuletzt stark gestiegenen Ölpreise noch einige Zeit dauern bis die Frachtkosten wieder auf das Vor-Pandemie-Niveau sinken werden. Die Rückstände bei der Verarbeitung in den Häfen sind weltweit nach wie vor gross. Darüber hinaus werden die strukturellen Probleme der Branche, wie beispielsweise das langsame Kapazitätswachstum oder die konzentrierte Marktmacht der Reedereien, nicht so schnell verschwinden. Investitionen in die Infrastruktur und die Digitalisierung der Branche werden dabei entscheidend sein, um die Frachtkosten wieder auf ein tieferes Niveau zu senken.

Krieg in Ukraine birgt Risiken für Lieferketten

Der Ukraine-Konflikt birgt in mehrfacher Hinsicht Risiken für die globalen Lieferketten und die konjunkturelle Entwicklung. Einerseits werden sich die aus dem Krieg resultierenden höheren Energiepreise in den Transportkosten niederschlagen – was den Geschäftsgang einiger Unternehmen belasten könnte. Des Weiteren ist es aufgrund der Sanktionen und kriegerischen Auseinandersetzungen möglich, dass ein grosser Teil der Bahnfracht von China nach Europa via Russland auf die See verlagert wird. Da mit der Bahnfracht insbesondere hochwertige Waren transportiert werden und die Bahnfracht tendenziell teurer ist als die Seefracht, ist es wahrscheinlich, dass die Frachtkosten bei einer Verschiebung nochmals ansteigen. Dadurch würde sich die Situation insbesondere in den europäischen Häfen verschlechtern.

Anderseits führt der Konflikt zu einer Verknappung des Angebots an Edelmetallen, was in einem Mangel an Rohstoffen münden kann. So ist die Ukraine beispielweise ein wichtiger Produzent von Nickel (das in Batterien für Elektrofahrzeuge verwendet wird), Palladium (das in Katalysatoren verwendet wird) und Neon (das in Lasern zur Herstellung von Mikrochips verwendet wird). Zudem müssen Unternehmen mit ukrainischen oder russischen Zulieferern ihre Lieferketten anpassen. Prominente Beispiele dazu sind deutsche Automobilhersteller wie Volkswagen oder BMW, die zuletzt ihre Produktion anpassen oder gar ganz aussetzen mussten, da wichtige Bauteile von ukrainischen Zulieferern ausfielen. Dies hat auch direkte Auswirkungen auf andere Zulieferer dieser Unternehmen. Denn fällt ein Zulieferer aus, werden oft alle anderen Teile auch nicht mehr nachgefragt. Da in der Ostschweiz zahlreiche Automobilzulieferer ansässig sind, dürfte auch die Ostschweizer Wirtschaft durch den Konflikt indirekt beeinflusst werden.

Die Ostschweizer Wirtschaft befindet sich aktuell insgesamt in einer relativ guten Verfassung. Der Krieg in der Ukraine stellt dennoch für die konjunkturelle Entwicklung ein nicht vernachlässigbares Risiko dar. Die direkten Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die Ostschweiz dürften – mit Ausnahme der stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreisen – begrenzt sein, da die wirtschaftliche Verflechtung mit Russland und der Ukraine verhältnismässig gering ist. Indirekt wird aber auch die Ostschweizer Wirtschaft vom Konflikt betroffen sein.

 

Hier finden Sie das aktuelle IHK-Research ZOOM als PDF.

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